Die Chronologie der Halde von 1970 bis 1989


Vom Genehmigungsverfahren bis zur Aufschüttung

In einer Gemengelage aus rational begründeten Befürchtungen und emotional hochgepuschter Angst vor der Krake "Bergbau", einerseits und den lebenswichtigen Interessen des  Bergwerkes andererseits mussten die betroffenen Parteien, der Bergbau und der Rat der Stadt Hamm, letztlich einen Kompromiss finden. Viele Helfer waren gefragt: 26 Behörden und Dienststellen mussten Stellung nehmen.Von der Bodenbegutachtung über Land- und Forstwirtschaft, Immissionsschutz und Wasserrecht. l2 Gutachten wurden erstellt. Von der Bergewerkschaftskasse bis zum Deutschen Wetterdienst. Mehrfach widersprachen sich "objektive" Gutachten oder Stellungnahmen und mussten in kräftezehrenden Sitzungen abgearbeitet werden. Das Protokoll des Erörterungstermins vom 28.03.1972 im Verwaltungsgebäude der Zeche mit 24 (!) Beteiligten hat 12 engbeschriebene DIN A4- Seiten. Der interne Vermerk des Stadtbaurates Schmidt- Gothan über diese Sitzung nochmals 5 Seiten mit einigen Seitenhieben auf die Kohle- Fraktion. Erschwerend kam hinzu, dass beide Seiten im Laufe der Auseinandersetzungen rechtliche Hilfe beim Verwaltungsgericht Arnsberg und beim Oberverwaltungsgericht Münster suchten. Der zeitliche Ablauf der Planungen und der Anschüttung der  Bergehalde "Kissinger Höhe" von 1970 bis 1989 in Monatsdaten:

 

06/70

Der Bergbau informiert die Stadtverwaltung Hamm über den Sonderbetriebsplan zur Anschüttung des Bergematerials nordöstlich des Betriebsgeländes auf dem Gebiet der Stadt Hamm (Wiescherhöfen).

 

08/70

Parlamentsferien, noch keine Beratung  im Rat oder in den Ausschüssen.

 

12/70

Besprechung im Hause des Bergwerkes "Heinrich Robert". Teilnehmer sind die BAG (Bergbau AG Westfalen), die Stadt Hamm, das Bergamt Hamm und  der SVR (Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk in Essen) , heute RVR ( Regional Verband Ruhr). Der Bergbau legt den Sonderbetriebsplan vor.

 

01/71

Das Bergamt Hamm legt Einspruch gegen den Plan ein. Die Stadt Hamm begründet ihren ablehnenden Standpunkt.

 

04/71

Das Bergamt verlangt Vervollständigung des Sonderbetriebsplanes und erhält ...

 

06/71

...  als Ergänzung vier Fachgutachten.

 

10/71

Haupt- und Finanzausschuss in Hamm lehnen die Anschüttung der Waschberge auf der vorgesehenen Fläche des Stadtgebietes im Stadtteil Wiescherhöfen

(Standort A) ab.

 

11/71

Der Bergbau legt dem Bauausschuss der Stadt trotzdem eine detaillierte Planung vor. Das Landesoberbergamt Dortmund schlägt bei einem Erörterungstermin einen neuen Standort südwestlich des Wohngebietes "Daberg" in der bergbaubedingten Senke des Wiescherbaches vor (Standort D).

 

12/71

Beide Seiten schlagen weitere Standorte vor: Von B bis F:

F= Sundern in Herringen. Vorgeschlagen von der Stadt Hamm, zugleich Reizthema für Bürgermeister Tippmann, Herringen. Inzwischen lässt der SVR in Essen erkennen, dass er alle Standortvorschläge aus unterschiedlichen Gründen skeptisch betrachte. Der SVR denkt an überregionale Halden im Ruhrgebiet.

 

03/72

Turbulenter Erörterungstermin auf "Heinrich Robert" mit 24 Teilnehmern.

 

04/72 

Stärkere Einbindung des Landschaftsplaners Prof. Olschowy, Bonn, in die Haldenplanungen um die bestmögliche Gestaltung und Bepflanzung der Bergehalde zu finden.

 

05/72

Der Streit eskaliert weiter! Die Stadt Hamm erstellt den Bebauungsplan 90 betr. " Freizeitpark "West" auf  dem vom Bergbau vorgesehenen Standort A und erlässt eine Veränderungssperre!

 

12/72

Der Bergbau wendet sich an die Landesregierung und lädt am l5.o5.72 Minister Figgen zu einem Erörterungstermin ein. Der Minister zögert. (Er ist Bürger der Stadt!) Weitere Schreiben von Landrat Böckmann (Kreis Unna)  und Bürgermeister Tippmann (Gemeinde Pelkum) an die Minister Figgen und Riemer (Wirtschaft) folgen. Im Hammer Westen gründet sich  die "Interessengemeinschaft gegen die Errichtung der Bergehalde "Heinrich Robert" Sie wird vom Rat und der Verwaltung der Stadt massiv unterstützt.

 

01/73

Die BAG Westfalen droht am 26.01.73 mit Untätigkeitsklage gegen das Bergamt Hamm, der Westdeutsche Rundfunk Köln sendet Fernsehbilder über das Thema.

 

02/73

Erste Veranstaltung der Interessengemeinschaft im Westenschützenhof. Dr. Lange, Direktor des Bergwerkes, erläutert die Planungen und begründet sie sachlich und ausführlich. Stadtbaurat Schmidt- Gothan verteidigt vehement den Standpunkt der Stadt und erhält starken Beifall. Hitzige Debattenbeiträge aus dem Publikum begleiten die ganze Veranstaltung. Der Petitionsausschuss des Landtages tagt in Hamm um sich über die verfahrene Lage zu informieren.

 

03/73

Das Landesoberbergamt Dortmund hat inzwischen mit allen beteiligten Behörden und Dienststellen, ausser mit Hamm, Einvernehmen herbeigeführt. Das Bergamt Hamm zieht seinen Einspruch vom 12.01.1971 gegen den Sonderbetriebsplan zurück und genehmigt die Anschüttung des Bergematerials am Standort A  bis zu einer Höhe von 30 m unter mehreren Auflagen. Die Stadt Hamm klagt beim Verwaltungsgericht Arnsberg gegen das Bergamt Hamm wegen Zulassung des Sonderbetriebsplanes. Die BAG Westfalen und die Gemeinde Pelkum stellen sich auf die Seite des Bergamtes. Das Verwaltungsgericht erlässt eine einstweilige Anordnung gegen die Zulassung des Sonderbetriebsplanes auf 30 m Höhe. Damit wird die Anschüttung gestoppt, das Bergwerk Heinrich Robert gerät in Schüttungsnot! Denn: Am 26. Februar 1974  hatte die Anschüttung am Standort A aufgrund der Genehmigung des Bergamtes Hamm bereits begonnen. Die Gemeinde Pelkum, das Wasser- und Schifffahrtsamt und das Bergamt kommen zur Hilfe und genehmigen die Schüttung der Berge in einem bergbaubedingten Senkungsgebiet am Datteln-Hamm-Kanal in Herringen.

 

--/74

Das Oberverwaltungsgericht Münster hebt die einstweilige Anordnung auf,  die Anschüttung am Standort A  darf weiter erfolgen, "da die innerhalb der voraussichtlichen Dauer des Hauptverfahrens vorgenommene Schüttung beim Obsiegen der Stadt beseitigt werde könne".

 

01/75

Das "Münster- Hamm- Gesetz" tritt  in Kraft. Die Gemeinde Pelkum wird Stadtteil von  Hamm. Die rechtliche Situation im Haldenstreit dreht sich:

Hamm wird Rechtsnachfolgerin beider Parteien: Alt- Hamm und Pelkum. Mit der Ratsvorlage B 21 vom 17.01.1975 beschließt der Rat der Stadt Hamm die erneute Offenlegung des Bebauungsplanes Nr. 90  "Freizeitpark West". Der Bergbau erhebt auf 12 DIN A4- Seiten erhebliche Bedenken und erwägt ...

03/75

... Beschwerde beim Regierungspräsidenten in Arnsberg gegen Staatskommissar Gräf und erhebt Untätigkeitsklage gegen die Stadt beim Verwaltungsgericht Arnsberg wegen zu zögerlicher Haltung der Stadt beim Grundstückserwerb für die Haldenfläche. Der Bergbau beruft sich dabei zu Recht auf das Bergrecht. Die neue kommunalpolitische Lage, die schwebenden Verwaltungsrechtlichen Verfahren und nicht zuletzt die hohe Förderung des Bergwerkes an Kokskohle  und damit zugleich an Bergematerial erforderten zunehmend die rechtlich gesicherte Fläche und Gestaltung (Höhe!) der neuen Halde.

 

05/75

Aus Düsseldorf wurde der Stadt dringend empfohlen, den Bebauungsplan 90 "Freizeitpark West" nicht weiter voranzutreiben. Hamm nimmt das Verwaltungsgerichtsverfahren gegen das Bergamt Hamm nicht wieder auf.

 

09/75

Die BAG Westfalen an die Verwaltung und den Rat der Stadt: "Die  Rechtsstreitigkeiten sollten beigelegt und eine einvernehmliche Lösung angestrebt werden" 

 

Ende 1975

gehen beide Seiten aufeinander zu.

 

05/76

Übereinkunft BAG Westfalen / Stadt  Hamm: Die schwebenden  Rechtsverfahren werden eingestellt.

 

1976 - 1989

Reger Schriftwechsel / Meinungsaustausch zwischen Stadt, Bergbau AG,  Bergamt, Oberbergamt, KVR Essen und  Bergwerk Heinrich Robert. Starker Anfall von Bergematerial infolge hoher Förderung. Auf beiden Seiten wächst die Einsicht, dass die genehmigten 30 m Halde in wenigen Jahren die anfallenden Berge nicht mehr aufnehmen kann.

 

02/89

Der bergrechtliche Betriebsplan für die Halde wird neu erstellt. Die Haldenhöhe wird auf 56 m festgesetzt. Der Rat der Stadt Hamm stimmt mit der Vorlage 5960 dem Vorhaben zu, da inzwischen Rahmenbetriebsplan für die nächste Halde (Standort F = Sundern) genehmigt worden war. Damit wurde der jahrelange Streit um die Bergehalde "Kissinger Höhe" beendet. Inzwischen wurden mehrere Mio. to Gestein, jährlich knapp 1 Mio. to, dass sind etwa 0,5 Mio cm³, nach den Plänen des Prof. Olschowy und des KVR Essen angeschüttet, gestaltet und bepflanzt. Unter den wachsamen Augen des "verhinderten Forstmannes" Bergwerksdirektor Dr. Gerhard Lange wurden die jungen Bäume und Sträucher in den Anwuchsjahren gewässert und durch Maschendrahtzäune gegen Kaninchenfraß gesichert. Der Erfolg überraschte alle Skeptiker: Etwa 85 bis 9o% der Setzlinge gingen an und bilden heute das Waldgebiet "Kissinger Höhe". Die Anschüttung endete im Spätherbst 1998. Entstanden ist auf dem dreigliedrigen Höhenrücken ein Waldgebiet mit unterschiedlichen Baum- und Straucharten und bewusst frei gehaltenen Grünflächen. Das Gesamtareal ging am 1. September 2001 in das Eigentum des Regionalverbandes Ruhr (RVR), in Essen über.17 km Wanderwege wurden auf den ehemaligen Bermen und LKW- Fahrbahnen hergerichtet, zwei Nordic- Walking- Parcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden installiert, die Geistschule gewann den Wettbewerb um die Namensgebung der Wanderwege und die AGE- Gruppe des Bergwerkes errichtete einen Bergbaulehrpfad mit 12 bergbautypischen Maschinen und Geräten. Die Bergehalde "Kissinger Höhe" hat frühere Befürworter und Gegner versöhnt und ist zu einem Anziehungs- und Aussichtspunkt für viele Besucher aus dem weitem Umkreis geworden